"Yeah - We made it!" Welch ein Gefühl, nach vier Wochen in der Südsee an einem der weltgrössten Orientierungsrennen. An 326 Posten konnten wir punkten, innerhalb eines Streckenbandes von fast 1000 Nautischen Meilen. Jedes der 16 Teams verfolgte eine eigene Strategie um möglichst als erste möglichst viele Posten zu finden. Optimale Organisation im Team war die Voraussetzung zum Sieg, ebenso ein zuverlässiges, gut gewartetes Boot und präzise Karten- und Satellitennavigation. Ungebrochener Drang und Biss während 13 Wettkampftagen waren gefragt, um das Tempo auch in unglücklichen Situationen nicht zu verlieren, denn davor blieb kein Team verschont.
Vom erfahrenen Seefahrer bis zum Warmduscher (komisch, wie die Rollen nach jeder Selektionsstufe wieder neu verteilt werden...) traf alles ein zur viertägigen Materialschlacht vor dem Start. Ziel: das Boot rüsten und wettkampftauglich machen, sich ans eher unerwartet nasskühle Klima gewöhnen, sich gegenseitig kennenlernen und nervös machen... Sichtbare Gimmicks hier, versteckte Tricks dort - wer bluffte nur, und wer war wirklich sackstark? Dinge, die sich erst nach dem Startschuss entpuppen würden. Diesen löste denn auch der König von Tonga persönlich aus. Die Spannung wich sofort mit dem Formel-1 mässigen Massenstart. Total geil!
Wie würde das Team Judi und Padi aus dem kleinen Land ohne Meer im Schlauchboot mit den Tücken der See, dem Swell, den Riffen, aber auch mit der Spitzfindigkeit eines auf Englisch geschriebenen Wettkampfbuches, umgehen? Erstmals selbständig undeutlichen Seekarten, schwieriger Einschätzung der Naturgewalten und Zeitdruck ausgesetzt, erlebten wir schon bald haarsträubende Abenteuer, wo Mensch und Material nur mit Glück verschont wurden. Schon am Starttag verbog sich der Alupropeller bei Ebbe in isolierten Riffen, am nächsten Morgen enthüllte sich eine Riffpassage als gar keine, der mannshohe Swell brach denn auch direkt auf das uns nachfahrende Teamboot der Briten - wir sahen zu, wie es einem Spielzeug gleich doppelt überschlug. Mit viel Glück schafften es die Blokes doch noch auf den vierzehnten Schlussrang. Gleichentags musste ich Blut schwitzen, um mitsamt Bike über den Reefbreak wieder aufs Boot zuzuschwimmen. Das war unsere Lektion über den Unterschied zwischen Theorie und Praxis.
Gestärkt davongekommen, erkannten wir sehr bald, was unsere wahren Feinde waren: die kleinen schleichenden Dinge. Ich meine damit nicht die ungemein giftigen Wasserschlangen, und auch nicht den Sonnenbrand (dazu schien die Sonne gar nicht fähig zu sein bei soviel Regen). Das Salz frass sich in alles hinein. Dauernd mussten Wunden gepflegt, ebenso die Ausrüstung vor Feuchtigkeit und Rost geschützt werden. Schlecht hörbare Wecker verkürzten die ohnehin schon knappe morgendliche Vorbereitungszeit. Umgeben von so viel Wasser, vergassen wir oft zu trinken und dehydrierten. Wellen und Speed waren Zutaten für das rockige Schütteln auf dem Boot. Wind und Spritzwasser kühlten uns ab, dass wir zum geschüttelt werden hinzu noch zitterten. Das Bordkassettengerät war von Anfang an defekt. Entsprechend konnten wir damit auch die manchmal gereizte Stimmung im Team nicht lösen, die Hektik und den Stress nicht in positiven Drive umwandeln. Abends musste die kurze Zeit bis zum Nachteinbruch genutzt werden: Boote flott machen, nächsten Tag planen, Camp aufrichten. Alles stank mit jedem Tag immer weiter zum Himmel rauf - die Feuchtigkeit erlaubte es kaum, nasse Kleider zu trocknen. Der Schlafsack gab oft Alpträume von sich. Die gemütlichen Nächte am Lagerfeuer liessen auf sich warten, von Südseeromantik nicht die Spur, ausser bei den schweisstreibenden ersten Versuchen, Kokosnüsse aufzuknacken, und etwas Abwechslung zu den langweiligen in Alu verpackten Adventure Food "Boil in the Bag"s zu kriegen. Doch das macht harte Trophyaner aus uns. Der Schlamm aus früheren Jahren ist uns ja sogar erspart geblieben.
Das Streben nach dem ersten Platz macht müde, besonders wenn es damit nichts zu gewinnen gibt, und andere Teams irgendwie besser funktionieren. Irgendwann waren Judi und mir Tauchgänge an vertikalen Riffen, Schnorcheln in Tunnels unter der Wasseroberfläche, dramatische Abseilmanöver, der Austausch von freundlichen Gesten mit den Einheimischen, der Anblick von Haien, Walen und Schildkröten wichtiger als die gesammelten Punkte. Die Fotographen und Kameraleute kriegten auch so ihre Actionbilder, und wir hatten mehr Gelegenheit, die traumhafte Umgebung zu geniessen. Als sich in Vava'u das Wetter endlich besserte, zeigte sich die Südsee dann auch von einer ganz anderen Seite. Die Lagunen kriegten ihre türkisblaue Farbe und wir flippten fast aus. Wir waren im Schlaraffenland, wo Ferkel und Küken sich frei im Wald tummeln, nahrhafte Früchte und Wurzeln ohne viel Zutun gedeihen, Fisch und Oktopus im Wasser nur darauf warten, gefangen zu werden, wo die Zeit stehenzubleiben scheint, weil sie einfach keine Rolle spielt in diesem Ende der Welt.
Die schwierigste Aufgabe war die zwei-etappige 340 Seemeilen lange Überfahrt nordwärts nach Samoa. Sie war nicht teil des Wettkampfes. Aber trotzdem musste jeder kämpfen - und leiden. 11 Stunden Rodeo auf einem kleinen Boot, jede Sekunde ein Wellenaufprall, der durch Rückenmark und Gelenke blitzt, Wasser, Wasser, nichts als Wasser rundherum, die sengende Sonne, aufgeschwollene Lippen vom Salz, der vergebliche Ausblick nach Land. Da kommen einem schon Horrorgedanken in den Sinn...Alles in allem eine tolle Erfahrung, die ich wohl nie vergessen werde. Das Vertrauen in die Navigationsgeräte, das Sicherheitsgefühl, das die fünf Boote pro Gruppe einander vermittelten, und der ab und zu vorbeiratternde Helikopter konnten nicht von der Tatsache wegtäuschen, dass nachts zuvor ein abgeschlepptes gelbes Boot sich selbständig gemacht hatte und wenige Stunden darauf im grossen weiten Ozean trotz aufwendiger Suchaktion nicht mehr aufgefunden werden konnte.
Samoa: Vierte und letzte Wettkampfphase, Wassertemperatur 27 Grad, jeden Tag tropische Regengüsse, zwei riesige Inseln mit sehr wilden Lavaküsten und dichter Vegetation, wunderbare Wasserfälle und sehr freundliche Einwohner, die in farbigen Hütten ohne Wände wohnen. Lustig, wie jeder in diese sehr gepflegten und funktionellen "Fale"s reingucken darf. In der Hauptstadt Apia fanden wir sogar einen McDonalds. Natürlich war er nur halb so cool wie der 4m-Baby-Walhai, dem wir auf unserem allerletzten Tauchgang begegneten. Zum Schluss gab es die obligaten Abschlusszeremonien und Preisverleihungen, wo wir ohne viel Wehmut das Nachsehen hatten und mit Platz 10 unter "Ferner liefen" rangierten.
Wenigstens konnten wir noch ein paar Kleidungsstücke von den Siegern ergattern. Diese Südafrikaner haben echt was drauf. Cooles Volk!
Was bleibt, sind die zahlreichen Freundschaften aus aller Welt, die wunderbaren Bilder und geilen Actionfilme, wovon soviele träumen. Leider war es die letzte Camel Trophy. Aber ganz sicher nicht das letzte Abenteuer!!! Das Paradies gibt es noch, Orte wie die Südsee sind nicht nur Illusion. Aber Vorsicht vor den Klischees, die unbändige Jagd danach kann zerstörerisch sein!
Padi Jeannerat, 30. Juli 2000