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Publiziert: 14.03.2003 06:00
Modifizert: 14.03.2003 11:43
ETH-Studierende: mit der "Transsib" ans AGS-Meeting in Tokio
NGO in schwierigem Umfeld

Das Sustain-Train-Team der ETH Zürich (1) ist inzwischen in Russland unterwegs. Die Beseitigung von Altlasten aus der Zeit des kalten Krieges stellt das Land vor enorme Probleme, wie ein Besuch bei "Green Cross Russia" zeigt. Die Organisation setzt sich unter anderem für die Entsorgung von Chemiewaffen ein. Sie kämpft dabei nicht nur mit finanziellen Problemen, sondern mit auch mit den Tücken der russischen Bürokratie.

Von Stephan Kölliker

Ein harsches Klopfen an der Abteiltür und ein trockenes "Passport!" reissen uns während der nächtlichen Zugsreise von Wien nach Brest unzählige Male aus dem Tiefschlaf. Der stechende Blick des weissrussischen Kontrolleurs lässt erahnen, welch eisige Atmosphäre hier zur Zeit des Kommunismus geherrscht haben muss. Die dunklen Schatten der Vergangenheit scheinen sich nur zögerlich aufzulösen.

Gegründet von Gorbatschow

Unsere Eindrücke bestätigen sich am nächsten Tag beim Besuch von "Green Cross Russia" in Moskau (2). Nur ein kleines Schild neben der massiven Stahltüre weist darauf hin, dass sich in dem unscheinbaren Gebäude an der Granatny-Gasse der russische Hauptsitz einer internationalen Organisation befindet. Das "Internationale Grüne Kreuz" wurde 1993 unter dem Patronat von Michail Gorbatschow ins Leben gerufen. Erste Projekte zielten auf den Abbau der umwelt- und gesundheitsschädigenden Altlasten des kalten Krieges. Sergey Baranovsky, Leiter von Green Cross Russia und ehemals renommierter Professor an der technischen Universität Moskau, zählt gleich zu Beginn die administrativen Hindernisse auf, mit denen sich seine Organisation konfrontiert sieht. Als Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) erhält sie keinerlei Unterstützung vom Staat, und eingegangene Spendengelder müssen versteuert werden. Auch die Einladung ausländischer Experten ist kompliziert: Green Cross Russia kann die für die Visaerteilung benötigten Einladungen nicht mehr selbst ausstellen, sondern muss den zeitraubenden und teuren Umweg über die staatlichen Ministerien wählen.

Schweizer Finanzhilfe ist überlebenswichtig

Im Moment ist Green Cross Russia völlig von Geldern aus dem Ausland abhängig. Diese stammen fast zur Hälfte aus der Schweiz, deren Fachwissen rund um die effiziente Nutzung von Spendengeldern von Baranovsky ausdrücklich gelobt wird. Interessanterweise begrüsst er westliche Finanzhilfe, hält aber wissenschaftliche und technische Unterstützung aus dem Ausland für zweitrangig. Seiner Meinung nach ist die russische Technologie den anstehenden Problemen gewachsen - eine Meinung, die nach ähnlichen Beteuerungen im Zusammenhang mit Tschernobyl oder dem Untergang der "Kursk" durchaus kritisch hinterfragt werden kann.

Das Sustain-Train-Team bei der Arbeit in der russischen Eisenbahn.


Nachhaltig Reisen

Ende März findet in Tokio das diesjährige Treffen der Partneruniversitäten der "Alliance for Global Sustainability" (AGS) statt. Bereits dorthin aufgemacht haben sich von ETH-Seite Studierende, die in der AGS engagiert sind. Sie reisen mit der Transsibirischen Eisenbahn, werden bei verschiedenen Aufenthalten ihrer Asienreise Fragen der Nachhaltigkeit studieren und in ETH Life laufend darüber berichten.




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Die Reiseroute zum AGS-Meeting in Tokio. gross

Chemiewaffenentsorgung stockt

Nachdem Green Cross Russia einen wegweisenden, leider nur auf russisch publizierten Bericht über die nukleare Verseuchung in der ehemaligen Sowjetunion erarbeitet hat, richtet sich das Hauptaugenmerk nun auf Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit der Vernichtung sowjetischer Chemiewaffen. Das Arsenal von 40'000 Tonnen soll gemäss internationalen Abkommen bis zum Jahr 2007 unschädlich gemacht werden. Diese Aufgabe hat nach den Ereignissen des 11. September ungeahnt hohe Priorität erhalten. Sieben Anlagen zur Vernichtung sind geplant, wovon vier zum Entleeren der Behälter (Granaten, Raketen usw.) und drei zur "Neutralisierung" (d.h. chemischen Vernichtung) der Kampfstoffe dienen werden. Die entstehenden Abfälle sollen dann endgelagert werden. Trotz der hohen Dringlichkeit ist die Finanzierung des Anlagenbaus durch die USA ins Stocken geraten, und nur gerade die Auslagen für das laufende Jahr sind gesichert.

Aufbauarbeit für die junge Generation

Ein jährlicher Malwettbewerb, den Green Cross in den staatlichen Schulen durchführt, dient der Sensibilisierung der Jugend für Themen wie "water for life" oder das Abfallproblem. Die Gewinner werden an die internationale Endausscheidung nach Italien eingeladen. Die Breitenwirkung der Aktion führt dazu, dass mit sehr wenig Geld weite Teile der nachfolgenden Generation sich mit Fragen der Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Ein weiteres Projekt ermöglicht Kindern aus radioaktiv verseuchten Gebieten einen mehrwöchigen Aufenthalt in unbelasteter Umwelt. Gleichzeitig werden medizinische Untersuchungen durchgeführt. Für dieses Projekt wird nach wie vor Expertise westlicher Mediziner benötigt, insbesondere um Publikationen an die internationalen Standards anzupassen (3).

Russland im Umbruch

Gegen Ende der Diskussion kommt Baranovsky auf die Umwälzungen in der russischen Gesellschaft zu sprechen. Deutlich zu spüren ist die Frustration über die viel zu niedrigen staatlichen Löhne: Bei achtzig Dollar pro Monat sind viele seiner ehemaligen Professorenkollegen gezwungen, nachts in einem verrosteten Lada als Taxichauffeur durch Moskau zu kurven, um die Ausbildung der Studenten zu gewährleisten. Gelegentlich werden gute Zeugnisse auch gegen Bezahlung ausgestellt.

Moskau macht zwar mit zahlreichen renovierten oder gar neu erstellten Prunkbauten einen zunehmend wohlhabenderen Eindruck, aber die still vor sich hin weinenden Grossmütterchen im Postbüro oder die zahlreichen Kleinhändler, die ihre Wenigkeiten feilbieten, lassen tiefer blicken.

Waggons mit Steinkohleofen

Während der komfortablen Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn durch die Weiten Russlands erinnern uns die Blicke aus dem Fenster immer wieder an das Interview mit Baranovsky. Endlos sich aneinanderreihende, verfallene Industrieanlagen zeugen von ehemals produktiveren Zeiten, und schwarz rauchende Schornsteine machen klar, dass Green Cross noch eine grosse Aufgabe vor sich hat.

Die Diskussionen der Mitglieder von project21 (4) ziehen sich bis spät in die Nacht hinein. Dabei kommt immer wieder der Eindruck auf, dass die Hilfe aus der Schweiz sehr geschätzt wird, und dass - viel wichtiger noch - wir als kleine Nation oft unsere eigenen Möglichkeiten zur Hilfeleistung unterschätzen. Während wir die einfachen lokalen Kostbarkeiten verzehren, die wir an jedem Zughalt von alten, gezeichneten "Babuschkas" (5) erstehen, sorgt ein Steinkohle-Ofen in jedem einzelnen Waggon für wohlige Wärme. Die wunderbaren Sonnenuntergänge in der winterlichen Märchenlandschaft Sibiriens lassen uns erahnen, dass auch in diesen abgelegenen und allzuoft vergessenen Gebieten ein erfülltes Leben möglich ist.


Fussnoten:
(1) Siehe ETH-Life Artikel "Rollender ETH-Thinktank"
(2) Homepage Green Cross Russia:
(3) Angebote an Olga V. Viazmina, Tel: +7 (095) 202 28 33 oder
(4) Homepage von [project21]:
(5) russisch für Grossmutter



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